1987: Kreuzberg brennt
Die Feuerwehr zwischen allen Fronten
Einen Tag nach Eröffnung der 750-Jahrfeier Berlins kommt es in Kreuzberg gegen 16 Uhr am Lausitzer Platz zu ersten Auseinandersetzungen zwischen gewalttätigen Störern und der Polizei. Um 19.12 Uhr wird dort ein Lösch-Hilfeleitungsfahrzeug (LHF) zur Beseitigung eines umgestürzten Bauwagens eingesetzt. Um 20.15 Uhr meldet eine LHF-Besatzung, dass eine Einsatzstelle am Lausitzer Platz (Feuer Abfall) aufgrund von Randalieren nicht erreichbar sei. Um 20.22 Uhr wird bei einem Einsatz die Frontscheibe des LHF Kreuzberg durch Steinwürfe beschädigt. Ab 20.52 Uhr werden aufgrund zahlreicher böswilliger Alarmierungen die Feuerwehr-Notrufmelder im Bereich der Straßenkrawalle nur noch dann beschickt, wenn über die Freisprecheinrichtungen ein Ereignis gemeldet wird. Um 21.08 Uhr werden weitere Löschzüge zur Verstärkung der Feuerwache Kreuzberg entsandt. Um 21.31 Uhr wird in der Muskauer Straße ein Feuer gemeldet, zu dem aus dem Bereitstellungsraum der FW Kreuzberg der Löschzug Schillerpark ausrückt. Vor Ort wird der Löschzug zwischen zwei schnell errichteten Straßensperren blockiert und mit Steinen beworfen, zwei Feuerwehrbeamte werden dabei verletzt. Um 21.37 Uhr rückten das mittlerweile in Dienst genommene Reserve-Löschfahrzeug (LF) Kreuzberg zu einem brennenden Bagger in der Mariannenstraße aus. Erst gegen 22.30 Uhr gelingt es im vierten Anlauf, unter Polizeischutz die Einsatzstelle zu erreichen. Als die Feuerwehrmänner die Brandbekämpfung einleiten, bewerfen mehrere gewalttätige Störer die Polizei derart mit Steinen, Wurfgeschossen und Molotowcocktails, dass die Polizeibeamten fluchtartig die Einsatzstelle verlassen. Die LF-Besatzung sucht zunächst hinter ihrem Fahrzeug und einem Glascontainer Deckung. Da die Randalierer jedoch auch gezielt gegen die Feuerwehr vorgehen, flüchten die Einsatzkräfte unter Zurücklassung ihres kompletten LF in einen Gruppenwagen der Polizei und werden damit um 23.04 Uhr zur Feuerwache Kreuzberg zurückgebracht. Nach Beschädigung und Plünderung wird das LF mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Es brennt völlig aus und kann erst am nächsten Morgen vom Feuerwehrkran auf einen Tieflader verladen und abtransportiert werden.
Um 22.42 Uhr wird nach Plünderung ein Lebensmittel-Supermarkt in Brand gesetzt. Obwohl die Einsatzstelle schräg gegenüber der Feuerwache Kreuzberg liegt, kann sie der ausgerückte Löschzug Tempelhof nicht erreichen, da zahlreiche gewalttätige Störer die anrückenden Fahrzeug sofort mit Steinen bewerfen. Der Supermarkt befindet sich in einem eingeschossigen Gebäude, einem ehemaligen Kino. Ein Fußtrupp in zivil erkundet, dass aufgrund der intakten Brandwände eine Gefahr der Brandausbreitung auf Nachbargebäude auszuschließen ist. Vorsichtshalber werden die beiden angrenzenden Gebäude evakuiert und kontrolliert. Inzwischen haben sich zahlreiche Anwohner der Wiener Straße vor der Feuerwache Kreuzberg versammelt und fordern die Feuerwehr auf, den Brand zu löschen. Da zu diesem Zeitpunkt noch keine Unterstützung durch die Polizei möglich ist, fordert der Einsatzleiter über Megaphon die Menschenmenge, unter ihnen viele gewalttätige und vermummte Störer, auf, die Feuerwehr nicht zu behindern. Trotzdem bleibt auch dieser Versuch eines Löscheinsatzes erfolglos. Erst gen 04.05 Uhr haben starke Polizeikräfte die Einsatzstelle abgeriegelt, sodass ein Löscheinsatz möglich wird. Zu diesem Zeitpunkt ist der Höhepunkt des Brandes längst überschritten.
Um 01.40 Uhr werden brennende Kioske unter dem Hochbahnhof „Görlitzer Straße“ gemeldet, doch erst um 03.05 Uhr kann hier die Brandbekämpfung unter Schutz eines starken Polizeiaufgebotes erfolgen. Eine Gefahr für die ungeschützte Stahlkonstruktion kann gerade noch abgewehrt werden. Eine weitere größere Brandstiftung wird in einem Getränkemarkt in der Manteuffelstraße um 02.41 Uhr gemeldet, diese Einsatzstelle kann erst um 03.13 Uhr erreicht werden.
Insgesamt wickelt die Feuerwehr vom 1. Mai, 19.12 Uhr bis zum 2. Mai, 7 Uhr im Gebiet der Straßenkrawalle insgesamt 43 Einsätze ab. Es werden 42 verletzte Personen in Krankenhäuser transportiert. 55 Einsatzstellen können nicht erreicht werden. Ein Löschfahrzeug wird durch Brandstiftung vernichtet, 16 andere Fahrzeuge, darunter auch zwei Rettungswagen der Hilfsorganisationen, sind wegen beschädigter Windschutz oder Seitenschreiben nicht mehr einsatzfähig.
Bilder
Bild: Stefan Wagner
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