Branddirekor Carl Ludwig Scabell (1851-1875)
Bild: Berliner Feuerwehr
Bauinspektor Carl Ludwig Scabell ist seit 1845 für das Feuerlöschwesen in Berlin als „Oberspritzenkommissarius“ zuständig, doch war dies nur eine Aufgabe von vielen, mit denen sich Scabell zu beschäftigen hatte. Früh stellt Scabell den desolaten Zustand des Brandschutzes fest. In der Stadt, die 1840 mit beginnender Industrialisierung bereits an die 330.000 Einwohner zählt und explosionsartig wächst, ist die Brandbekämpfung noch „dörflich“ organisiert. Bei einem Brand gibt es keine geeigneten Meldewege. Tutende Nachtwächter, trommelnde Soldaten und läutende Kirchenglocken wecken erst einmal die ganze Stadt. Die Bewohner, vornehmlich Handwerker, die zum Feuerlöschdienst verpflichtet, hierfür aber nicht weiter ausgebildet sind, begeben sich mehr oder minder motiviert auf den Weg zur Brandstelle, ohne zu wissen, wo diese ist. Ist die Brandstelle erst einmal erreicht, herrschen hier in aller Regel chaotische Zustände. Es gibt keine Befehlsstruktur. Polizeibeamte, Ratshandwerksmeister, Revierschornsteinfeger, Mitglieder des Magistrats oder der Stadtverordnetenversammlung und andere „Respektspersonen“, sie alle haben Anordnungsbefugnis und erteilen nicht selten einander widersprechende Befehle. Die zum Dienst verpflichteten Löschmannschaften zeigen häufig nur schwachen Einsatzwillen und verlassen angesichts des Befehlschaos oft genervt die Einsatzstelle, um wieder ins Bett zu gehen. Die eingesetzten Handdruckspritzen sind oft über hundert Jahre alt. Schläuche und Rohre gibt es nicht, das notwendige Löschwasser wird mit sog. Schleiftienen, also Wasserbottichen auf Kufen, zur Einsatzstelle gebracht. Nur am königlichen Schloss gibt es eine Dampfspritze, auf die aber nur in besonderen Fällen zurückgegriffen werden darf. Kein Wunder also, dass ein Brand meist mehrere Gebäude, nicht selten ganze Stadtviertel erfasst und oft viele Menschenleben kostet. Spätestens der Brand des Opernhauses im Oktober 1844 macht den Verantwortlichen im Magistrat deutlich, dass Handlungsbedarf besteht. Scabell legt neue Konzepte vor, doch der Streit um Kosten und Kompetenzen verhindert wirksame Verbesserungen.
Schnelligkeit, Organisation und Kommunikation
Scabell sieht die Lösung in der Einrichtung hauptamtlicher Löschkräfte in den Nachtzeiten unter Führung eines Direktors und weiterer Inspektoren. Über die Zweckmäßigkeit dieses Plans ist man sich im Prinzip einig, doch scheitert er abermals an der Kostenfrage. Doch dem neuen Polizeipräsidenten Carl v. Hinckeldey gelingt es, den preußischen Innenminister Ferdinand von Westphalen zu überzeugen. Am 27. Januar 1851 wird die Bildung der neuen Einrichtung verfügt, am 1. Februar 1851 wird Carl Ludwig Scabell zum Königlichen Branddirektor ernannt. Nun kann er seine Vorstellungen einer gut organisierten Feuerwehr in die Tat umsetzen.
Scabell definierte die Eckpfeiler, die auch heute noch eine effektive Berufsfeuerwehr weltweit ausmachen: Schnelligkeit, Organisation und Kommunikation. Auch das, was nach Scabells Vorstellungen einen guten Feuerwehrmann ausmacht, gilt heute immer noch: Fitness, Ausbildung Disziplin und Berufsethos. Scabell, der selbst nicht beim Militär war, führt in seiner Berufsfeuerwehr militärischen Drill und körperliche Ertüchtigung ein. Er bildet eine klare Führungsstruktur und fordert unbedingten Gehorsam ein. Und die Erfolge lassen nicht auf sich warten. Nicht jeder kleine Brand entwickelt sich nun zu einer Feuersbrunst, der Ruf „Feuer!“ verliert bald für die Berliner seinen Schrecken. Das hat auch damit zu tun, dass bei einer Brandmeldung nun nicht mehr die ganze Stadt geweckt wird, denn Scabell forciert den Aufbau eines Telegrafennetzes für Polizei und Feuerwehr mit dem die Lage der Brandorte gezielt an die jeweils zuständigen Depots gekabelt werden kann. Gemeinsam mit Werner von Siemens entwickelt Scabell später die ersten Feuermelder, die in der Oper, im Alten Palais und anderen kulturellen Einrichtungen installiert werden. Schnell wird das Netz ausgebaut, denn Scabell weiß, je schneller ein Brand gemeldet werden kann, desto schneller kann er auch gelöscht werden. Auch ein Hydrantensystem lässt Scabell aufbauen, um die Wasserversorgung bei der Brandbekämpfung sicher zu stellen. In der Linienstraße kann er 1859 erstmals eine Feuerwache nach seinen Vorstellungen bauen lassen. Im Erdgeschoss befindet sich eine Halle mit sechs Ausfahrten. Im ersten Obergeschoss befinden sich die Mannschaftsunterkünfte. Nach diesem Prinzip werden Feuerwachen auch heute immer noch gebaut. Nahezu alles was uns heute im vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz als selbstverständlich erscheint, ja der Brandschutz an sich, wurde erst von Scabell begründet. Dabei muss man sich stets vor Augen halten, dass es für Scabell nirgendwo auf der Welt ein Vorbild gab, das er einfach hätte kopieren können. Was Scabell in den folgenden Jahren in Berlin schafft, gibt es bis dato kein zweites Mal auf der Welt und führt bald dazu, dass Experten aus aller Herren Länder nun ihrerseits nach Preußen reisen um das „Berliner System“ zu studieren. Man kann Scabell tatsächlich als den Erfinder der Berufsfeuerwehr bezeichnen. Die Feuerwehr wird schnell populär. Die Feuerversicherungen werben überall im Land dafür, ähnliche Einrichtungen zu gründen, denn sie haben erkannt, welche Kosten sie damit sparen können.
Der Stern sinkt
Im September 1875 tritt Scabell in den Ruhestand. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Stern allerdings schon fast versunken. Dokumentiert ist ein Disziplinarverfahren, das gegen ihn 1874 wegen „ungeregelter Verwaltung“ eingeleitet wird. Ob die Vorwürfe Substanz haben oder eine Intrige gegen ihn im Spiele war, ist nicht mehr feststellbar. Fest steht jedoch, dass Scabell, wie viele große Männer, ab einem gewissen Punkte seiner Laufbahn begonnen hat, sich Neuem zu verweigern und auf seine alten Errungenschaften zu beharren. Die Einführung der Dampfspritze hat er nicht mehr forciert, auch die Bildung von taktisch selbständigen Einheiten, die autark in der Lage wären, Brände zu löschen, treibt er nicht mehr voran. Die Feuerwehr, die er 1875 seinem Nachfolger Witte hinterlässt, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Scabell stirbt am 9. Juni 1885, also knapp zehn Jahre nach seiner Pensionierung. Er wurde auf dem Friedhof der St. Petri-Gemeinde in Friedrichshain beerdigt. Sein Grab überstand den Lauf der Zeit nicht. Kein Denkmal, kein Ehrengrab, keine Ehrenbürgerschaft erinnern heute noch an ihn. Lediglich eine unbedeutende Nebenstraße am Rande der Stadt, trägt seinen Namen.