Oberbranddirektor Maximilian Reichel (1905-1922)
Bild: Berliner Feuerwehr
Der Vater der Motorisierung
Nachfolger Giersbergs wird der Branddirektor von Hannover, Maximilian Reichel. Reichel hatte in der Berliner Feuerwehr bereits als Brandmeister gedient. In Hannover hat Reichel den ersten automobilen Löschzug der Welt eingeführt. Die Motorisierung der Feuerwehr ist auch in Berlin sein vornehmstes Ziel. Er experimentiert dabei mit verschiedenen Antriebsarten und beschafft für die Innenstadtwachen Fahrzeuge mit Elektro- und an der Peripherie Fahrzeuge mit Dampfmotor. Der Explosionsmotor ist für ihn keine Option.
Unter seiner Leitung entsteht 1910 mit der Wache Schillerpark auch die erste Wache für den reinen Automobilbetrieb. Zum Ende seiner Dienstzeit wird Reichel gezwungen sein, auf den Benzinmotor als Antrieb für Fahrzeug und Pumpe umzuschwenken, denn nach dem I. Weltkrieg werden die für die Elektromobile notwendigen Radnabenmotoren nicht mehr gebaut.
Seine Majestät geben sich die Ehre
Auch organisatorisch verändert Reichel die Feuerwehr. Er richtet Kommissionen ein und bildet Brandoberinspektionen in die er Leitungsaufgaben delegiert. Unter Reichel wird die von Giersberg beantragte Trennung des Feuerwehr-Telegrafennetzes vom Telegrafennetz der Polizei vollzogen und eine eigene „Telegraphenverwaltung“ gebildet. Technisch kommt Reichel allerdings mit der Modernisierung des Fernmeldewesens nicht ans Ziel. Reichel erkennt jedoch auch die Grenzen, an die er durch die besondere Situation Berlins stößt. Die Region um die Reichshauptstadt wächst in beachtlichem Tempo zusammen, ist aber immer noch in sechs Großstädte und zahlreiche Gemeinden und Gutsbezirke unterteilt, was den Aufbau eines einheitlichen Löschwesens in Groß-Berlin ungemein erschwert.
Seinen beruflichen Höhepunkt durfte der der Monarchie zugetane Reichel wohl im Februar 1914 erleben, als der Kaiser im Lustgarten eine Parade der Feuerwehr abnimmt und einer Großübung im Dom beiwohnt. Wenige Monate später bricht der I. Weltkrieg aus und Reichel wird sofort eingezogen. Mit ihm weiter 700 Berufsfeuerwehrleute, womit der Personalbestand nahezu halbiert ist. Erst im November 1918 kehrt er an die Spitze der Feuerwehr zurück und findet eine Stadt im Aufruhr vor.
Nach dem I. Weltkrieg
Er, der treu zur Monarchie stand, hat sich nun mit einem Arbeiter- und Soldatenrat, einem kommunistischen Polizeipräsidenten und einer demokratischen Regierung zu arrangieren. Seine vornehmste Aufgabe ist es, wieder Ruhe und Ordnung in den Dienstbetrieb zu bringen. Dazu muss er dem neu gegründeten Beamtenausschuss einige Zugeständnisse machen. Nach den bitteren Erfahrungen im I. Weltkrieg ist der Beamtenvertretung offenbar sehr daran gelegen, die Feuerwehr zu „zivilisieren“. So wird die militärische Grußpflicht abgeschafft, die Vorgesetzten müssen einen „bürgerlichen Umgangston“ im Umgang mit ihren Untergebenen pflegen und die persönlichen Ordonanzen der Offiziere, die jetzt Oberbeamte heißen, fallen weg. 63 Feuerwehrleute sind an der Front gefallen, 100 kehrten kriegsversehrt zurück und sind nicht mehr voll einsetzbar. Doch Ruhe will nicht einkehren. Während des Spartakus-Aufstandes 1919 muss die Feuerwehr hunderte Tote und Verletzte transportieren. Obwohl sie unter Rot-Kreuz-Flagge fährt, gerät sie dabei selbst oftmals zwischen alle Fronten. Ein Feuerwehrmann wird dabei getötet.
Die Bildung der Groß-Berliner Feuerwehr
Immerhin ein großes Projekt kann in diesen unruhigen Zeiten verwirklicht werden: 1920 tritt das Groß-Berlin-Gesetz in Kraft. Reichel ist nun gefordert, 15 Berufsfeuerwehren und 65 Freiwillige Feuerwehren im neuen Stadtgebiet zu einer Feuerwehr zu verschmelzen. Reichel, inzwischen zum Oberbranddirektor ernannt, hat feste Vorstellungen davon, wie die künftige Groß-Berliner Feuerwehr auszusehen habe. Er hat allerdings große Schwierigkeiten, bei den Branddirektoren der vordem selbständigen Berufsfeuerwehren Akzeptanz als „Chef“ zu finden und seine Vorstellungen durchzusetzen. Als er erkennen muss, dass der Magistrat, dem die Feuerwehr seit 1922 untersteht, bereit ist, den Branddirektoren entgegenzukommen, beantragt der mittlerweile 67jährige seine Versetzung in den Ruhestand und scheidet im Oktober 1922 aus. Im März 1923 verabschiedet der Magistrat die „Geschäftsanweisung für die Deputation des Löschwesens“. Sie trägt in wesentlichen Zügen die Handschrift Reichels. Diesen späten Triumph kann Reichel jedoch nicht mehr lange genießen. Er stirbt im September 1924 nach kurzer Krankheit.